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Jana Schulz

Golden Boys (Igdir, Maravilla, Monterey Park)

Vidéo | hdv | couleur | 17:33 | Allemagne | 2018

Der Titel Golden Boys leitet sich von den Golden Boy Promotions in Los Angeles ab. Sie nehmen junge Boxer unter Vertrag und organisieren monatlichen Kämpfe in der Stadt. Mit Golden Boys assoziiere ich eine Band, eine Gang oder eine andere Männergemeinschaft. Ich sehe das Boxen als eine Art Gemeinschaftsritual, junge Männer trainieren in kleinen Gruppen und sind als Sparringpartner körperlich eng verbunden. Mich interessiert ihr Zusammenschluss als eine Abgrenzung von ihrer Umgebung und als Eintritt in eine eigene Gegenwelt. Der Soziologe Loic Wacquant schreibt in seinem Buch Leben für den Ring. Boxen im amerikanischen Ghetto, dass die Sporthalle einer Entbanalisierung des Alltags gleicht. Mittels Trainingsroutine und Körpermodellierung bietet sie Zugang zu einer anderen Welt, in der sich Abenteuer, männliche Ehre und Prestige mischen. Gleichzeitig ist das Boxen eine der einsamsten und individuellsten Sportarten. Jeder steht allein im Ring, in minimaler Bekleidung. Der Körper ist das Kapital des Boxers, er wird eingesetzt im Kampf und unterliegt dabei einem hohen Verletzungsrisiko. Es ist eine Aufführung des Körperlichen auf erhöhter Bühne, umringt von Zuschauern. Hierin spiegelt sich die Sehnsucht wahrgenommen zu werden und der Wunsch, unsterblich zu sein. Boxen ist ein Kampf um Anerkennung. Wenn du ins Profigeschäft einsteigen willst, musst du es dorthin schaffen. In den USA, da bist du als Boxer noch wer, erzählt mir ein Protagonist aus Golden Boys Igdir. In dem Video begleite ich eine Gruppe junger Boxer aus Berlin zu Vergleichskämpfen in die Türkei. Die ersten beiden Szenen zeigen Alen Rahimic bei der Rasur, die ein Ritual vor jedem Amateurkampf ist. Den Amateurboxern ist es versagt mit Bart in den Ring zu steigen, weil er eine Verletzung im Gesicht verdecken kann. Im weiteren Verlauf sieht man die Jugendlichen bei ihren nächtlichen Treffen in der Hotellobby, die zu dieser späten Stunde von einem halb öffentlichen zu einem privaten Ort und somit zu einem Freiraum für die Gruppe wird. In Golden Boys Maravilla beobachte ich Andre Perez, Martin Urias und Raymond Otanes wie sie mal für mal eine steil ansteigende Straße in East Los Angeles hinauf rennen. Das road work ist Teil des Trainingsprogramms kurz vor ihrem Kampf in Mexiko. Am Ende der Straße steht – unscharf – eine Gruppe Männer, die an eine Gang denken lässt, die mit ihrer Präsenz das Viertel markiert und die Jüngeren vor äußeren Einflüssen abschirmt. Es sind die Trainer und Väter, die einer Kontrollinstanz gleich, ihre Zöglinge überwachen und hüten.We wanna keep them off the streets. Das Boxen soll ihre Söhne von der Straße fern halten. Gleichzeitig machen sie sich die Straße auf eine andere Weise zu eigen. Sie ist ihr Trainingsfeld. In Golden Boys Monterey Park ist Rico Ramos, ehemaliger Weltmeister im Bantamgewicht, einziger Protagonist. Er befindet sich in einer ‚gewohnten Ausnahmesituation‘, hat seine Wohnung und sein soziales Umfeld verlassen und lebt bei seinem Coach im Trainingscamp. In dieser letzten Phase vor dem Kampf wird sein Körper zur Rüstung und Waffe geformt. Mich interessiert der Moment der Isolation. Ramos sitzt wochenlang alleine vor dem Fernseher zwischen den drei täglichen Trainingseinheiten im Gym. Hier beobachte ich die Bewegungen des Körpers, Gestik und Mimik. Auf der Tonebene sind Stimmen und Musik aus dem Fernseher zu vernehmen. Es sind Fragmente, die eine Soundcollage ergeben, die zwischen Realität und Künstlichkeit changiert, ähnlich dem Körper im Raum, der sich in dem bunt aufflackernden Fernsehlicht bewegt. Das Boxen zeige ich in dem dreiteiligen Video nie explizit, vielmehr schwebt es wie ein Versprechen über den Köpfen der Protagonisten und ist verbindendes Element.

Jana Schulz (*1984 in Berlin) lebt und arbeitet in Berlin und Leipzig. 2018 schloss sie ihr Meisterschülerstudium bei Prof. Tina Bara an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig ab. 2020 ist sie Teilnehmerin des Berlin Program for Artists, 2019 war sie mit einem Stipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen am International Studio & Curatorial Program in New York. 2018 erhielt sie das Villa Aurora Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes und den Marion Ermer Preis. Schulz‘ Arbeiten wurden unter anderem im Eigen+Art Lab Berlin, bei Eigen+Art Leipzig, in der Anna Poterasu Gallery Bukarest, in der Kunsthalle Wien, im Museum der Bildenden Künste Leipzig und im Kunstquartier Bethanien Berlin gezeigt. Kommende Ausstellungen sind im Center for Photography Melbourne und im Kunstverein Bremerhaven. In ihren medienübergreifenden Arbeiten setzt sie sich mit Formen zwischenmenschlicher Kommunikation auseinander. In einer prozessualen Arbeitsweise beobachtet sie Strukturen und Dynamiken innerhalb sozialer Gruppen, reinszeniert einzelne Szenen und erweitert ihren dokumentarischen Ansatz um fiktive Elemente.